«Ich bin ein ruhiger Leader»

Der Berner Roman Josi ist der beste Eishockey-Verteidiger der Welt. Vor Mitspielern, die sich fürs Team prügeln, hat er «extremen Respekt».

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 7. Januar 2021

Bild: Roman Zeller.

Bild: Roman Zeller.

Unter den Schweizer Eishockey-Spielern ist Roman Josi der Virtuose, der Denker und Lenker im Spiel nach vorne. Wegen seiner Stocktechnik, seiner Spielintelligenz und Schnelligkeit ist der Dreissigjährige fast nicht aufzuhalten, wenn er hinter dem eigenen Tor Anlauf nimmt und mit dem Puck über das ganze Feld kurvt.

Josi, der Verteidiger, spielt im Stil der Flügelstürmer, die er passgenau in Szene setzt, sofern er nicht selber abschliesst. Nur gerade fünf Angreifer gaben in der letzten NHL-Saison, in der weltbesten Hockey-Liga, mehr Schüsse aufs Tor ab als er.

Im September erhielt Josi die James Norris Memorial Trophy, die höchste Ehre, die einem NHL-Verteidiger zuteilwerden kann. Als erster Schweizer wurde er zum besten Verteidiger der Saison ausgezeichnet. Seit 2011 spielt der 30-Jährige bei den Nashville Predators. Mit seiner Frau, einem amerikanischen Model, wohnt er in einer Vorstadtvilla, wo wir ihn online erreichen. Er sitzt mit Mütze und Kapuzenpullover vor der Kamera.

Weltwoche: Herr Josi, im September wurden Sie als weltbester Verteidiger geehrt. Gratulation! Mit ein bisschen Distanz: Was bedeutet Ihnen dieser Titel?

Roman Josi: Extrem viel, ein Traum ging in Erfüllung. Es ist eine Riesenehre, weil diese Trophy so viele Superspieler gewannen. Darunter sind viele Vorbilder aus meiner Kindheit.

Weltwoche: Was ist das für ein Gefühl, der Weltbeste zu sein?

Josi: Das klingt unrealistisch, und es ist ja auch nur der Titel für eine Saison. Ich glaube nicht, dass ich wirklich der Beste bin.

Weltwoche: Wer ist für Sie der beste, der überragendste Hockeyspieler aller Zeiten?

Josi: Da muss ich fast Wayne Gretzky nennen. Er ist die Nummer eins, nur schon, wenn man die Statistiken anschaut. Wie viele Punkte er verbuchte, ist unglaublich. Bobby Orr war aber auch extrem gut.

Weltwoche: Bobby Orr, der Offensivverteidiger, der in den siebziger Jahren von ganz hinten bis ganz nach vorne und vors gegnerische Tor dribbelte. Ein bisschen wie Sie, oder?

Josi: Mit ihm würde ich mich nicht vergleichen, nie! Orr lief einfach durch, wie durch Butter. Vielleicht ist unsere Spielweise ähnlich, das mag sein, weil auch ich den Puck gerne ins gegnerische Drittel trage. Aber Orr spielte in einer ganz anderen Liga als ich heute.

Weltwoche: Wen sehen Sie als besten Sportler der Geschichte?

Josi: Fedi, ganz klar! Auch Michael Jordan war unglaublich dominant oder Maradona. Aber Roger Federer, die Art und Weise, wie er Tennis spielt und dennoch auf dem Boden bleibt, ist nicht von dieser Welt.

Weltwoche: An welcher Stelle steht Ihr Name auf dieser ewigen Bestenliste?

Josi: Verglichen mit diesen Namen, die ich gerade nannte?

Weltwoche: Ja. Vielleicht auf einer Skala von eins, meilenweit weg, bis zehn, in den Sphären von Federer, Jordan und Maradona.

Josi: Gut, das sind absolute Legenden. Da bin ich . . . vielleicht . . . so bei zwei oder drei.

Weltwoche: So tief?

Josi: Ja . . .

Weltwoche: Braucht es diese Bescheidenheit, um bis ganz nach oben, um an die Spitze im Eishockey zu kommen?

Josi: Ich denke schon, auch wenn ein gesundes Selbstvertrauen sicher wichtig ist. Genauso entscheidend ist es aber, auf dem Boden zu bleiben. Das hilft, um offen und selbstkritisch zu sein, um ständig Wege zu suchen, um besser zu werden. Hätte ich das Gefühl, ein vollkommener Superstar zu sein, würde ich mich wohl kaum weiterentwickeln.

Weltwoche: Wie lautet Ihr Geheimrezept, um nicht abzuheben?

Josi: Das hat viel mit der Erziehung zu tun. Wir, mein Bruder und ich, wuchsen sehr einfach auf. Meine Eltern sind bescheiden, bleiben auf dem Boden der Tatsachen. So haben sie mich erzogen. Sie würden es mir sicher sagen, wenn ich abheben würde.

Weltwoche: Gibt es ein Erlebnis, das Sie auf Ihrem Karriereweg entscheidend geprägt hat?

Josi: Ich weiss noch, als ich mit achtzehn, nach einem Spiel in der Nationalliga A in Basel, Roger Federer treffen konnte. Ich war ultranervös. Wie er sich dann mir gegenüber verhielt – so geerdet –, beeindruckte mich extrem. Ich dachte: So möchte ich als Person auch sein.

Weltwoche: Als Kind träumten Sie davon, Fussball-Profi zu werden. Warum?

Josi: Mein Vater und mein Bruder spielten beide Fussball. Bis zehn spielte ich beides, Fussball und Eishockey, dann wollte ich mit Hockey aufhören. Aber mein Eishockey-Trainer intervenierte. Irgendwie habe ich mich dann so entschieden. Meine Mutter sagt aber heute noch, dass ich lieber Fussball gespielt habe.

Weltwoche: Hockeyspieler und Fussballer sind verschiedene Sportlertypen. Was unterscheidet die beiden Spezies voneinander?

Josi: Ich glaube, die Kultur ist anders.

Weltwoche: Beschreiben Sie die Kultur im Eishockey.

Josi: Die älteren Jahrgänge formen stark die jüngeren. Wer in einem Team neu ist, verhält sich ruhig, schaut und lernt. Man arbeitet hart und verschafft sich Respekt. So geht das weiter, von Stufe zu Stufe, bis zu den Profis.

Weltwoche: Erinnern Sie sich an Ihren Durchbruch? Wann merkten Sie, dass Sie es schaffen könnten?

Josi: Das war, als ich erstmals ins Training mit der ersten Mannschaft des SC Bern durfte. Das weiss ich noch gut. Ich merkte, dass der Traum, als Eishockey-Profi zu spielen, greifbar wurde. Und bald darauf spielte ich auch meinen ersten Match.

Weltwoche: Gab es in Ihrer Karriere Momente, wo Sie aufgeben wollten?

Josi: In meinem ersten NHL-Trainingslager, in Nashville, brach ich mir das Handgelenk. Gleich danach erlitt ich zwei, drei Hirnerschütterungen, die gefährlich waren. Ich wusste nicht, wie sich meine Gesundheit entwickeln würde. Das war schwierig, aber ans Aufhören dachte ich trotz allem nie.

Weltwoche: Sie spielen seit 2011 bei den Nashville Predators in der NHL. Wie erleben Sie Amerika? Was gefällt Ihnen besonders gut?

Josi: Nashville als Stadt ist sehr cool, sie wächst ständig. Mir imponiert die Offenheit der Leute, schon als ich hierherkam. Ich kannte nur meine Teamkollegen. Sofort lernte ich auch andere Leute kennen, die mir halfen, mich zurechtzufinden. Daraus entstanden Freundschaften, die ich bis heute pflege.

Weltwoche: Wie reagieren Amerikaner, wenn Sie sagen, dass Sie Schweizer sind?

Josi: Gut! Schweizer kommen ja überall gut an. Ich war noch nie in einem Land, in dem wir einen schlechten Ruf haben.

Weltwoche: Was vermissen Sie an der Schweiz? Ausser Familie und Freunde.

Josi: Die Natur. Ich war jetzt wegen Corona länger nicht mehr in der Schweiz. Jedes Mal, wenn ich heimkomme, gehe ich in die Berge. Aber nur schon wenn ich in Bern bin, merke ich, wie schön die Schweiz ist. Diese Schönheit vermisse ich sehr.

Weltwoche: Corona zum Trotz: Was bleibt Ihnen vom Jahr 2020 in positiver Erinnerung?

Josi: Mir wurde richtig klar, dass die Gesundheit das Wichtigste ist. Ohne Gesundheit geht nichts im Leben. Und natürlich ist die Schwangerschaft von meiner Frau extrem cool.

Weltwoche: Stimmt, Sie werden Vater! Wann erwarten Sie Ihr erstes Kind?

Josi: Im Februar.

Weltwoche: Wie laufen die Vorbereitungen?

Josi: Ganz gut. Ich bestellte drei, vier Bücher. Das erste habe ich fertiggelesen. Meine Frau ist im Vorsprung. Ich muss sicher noch aufholen. Wenn ich aber mit Bekannten spreche, heisst es immer: Wenn das Kind dann da ist, kommt sowieso alles anders und so, wie es muss.

Weltwoche: Darf man fragen, was es wird?

Josi: Klar, ein Bub!

Weltwoche: Wissen Sie schon, wie Sie als Vater sein möchten?

Josi: Ich hoffe, dass ich ihm erlauben werde, sich selber zu sein. Und dass er mit einem gesunden Selbstvertrauen aufwächst. Er soll tun und lassen können, was ihm Freude bereitet. Ich möchte ihn auf seinem Weg begleiten und ihn, wenn nötig, guiden.

Weltwoche: Wegen der Schwangerschaft Ihrer Frau während Corona sind Sie sicher extra vorsichtig.

Josi: Ja, sehr sogar. Wir waren und sind hauptsächlich daheim.

Weltwoche: Wie erlebten Sie diese verrückte Zeit in Amerika?

Josi: 2020 war kein schönes Jahr. Vor Corona hatten wir in Nashville Tornados, danach Strassenunruhen. Viele Menschen verloren ihre Jobs, auch Familienmitglieder – beides wegen Corona. Ich hoffe, dass das bald vorbei ist und die Leute, das Land wieder zusammenkommt.

Weltwoche: Vorbei wird in Nordamerika bald auch die Spielpause sein: Mitte Januar werden Sie in die Saison starten, mit Ihrem Team, das Sie seit 2017 anführen, als erst zweiter Schweizer NHL-Captain nach Mark Streit. Wie kamen Sie zu dieser Ehre?

Josi: Der General Manager und der Coach fragten mich, ob ich parat sei. Dann entschieden sie.

Weltwoche: Und, waren Sie parat?

Josi: Ja, schon. Wenn ich aber zurückschaue, sehe ich vieles, was ich heute besser mache als am Anfang.

Weltwoche: Wie führen Sie heute Ihr Team?

Josi: Ich bin ein ruhiger Leader. Ich will als gutes Beispiel vorangehen, mich professionell verhalten, im Training wie auch im Spiel. Ich will diese team first-Mentalität ausstrahlen, die mir meine Vorgänger vorlebten. Shea Weber und Mike Fisher waren Super-Captains. Sie imponierten mir sehr.

Weltwoche: In der NHL spielen Sie mit, vor allem aber auch gegen Ihre Idole von einst. Was ist das für ein Gefühl?

Josi: Es ist sehr speziell, Spieler wie Alexander Owetschkin oder Sidney Crosby zu verteidigen. Dann ist eine gewisse Bewunderung da. Irgendwie ist es schön, jemandem, der so viel erreicht hat, gegenüberzustehen. Aber am Ende sind es halt deine Gegner.

Weltwoche: Verteidigen Sie gegen solche Top-Stürmer anders?

Josi: Auf jeden Fall. Es gibt Stürmer, da weiss ich besonders, auf was ich achten muss. Wenn Owetschkin den Puck auf dem Stock hat, ist mir klar, dass er einen unglaublichen Schuss hat. Ihn decke ich automatisch sofort enger, wenn er auf dem Eis steht. Crosby hat andere Stärken, an die ich mich auch anpasse, oder auch Connor McDavid, der so schnell ist. Das passiert intuitiv.

Weltwoche: Sie gehören ja auch zu den Cracks: Merken Sie, wenn Sie das Eis betreten, dass Ihnen ein besonderes Augenmerk gilt?

Josi: Nicht wirklich. Es gibt sicher Spieler, die meine Spielweise gut kennen und daher auf mich aufpassen. Ich spüre aber keine Ehrfurcht.

Weltwoche: Speziell im Fokus standen Sie, als Sie 2019 einen Vertrag unterschrieben, der Ihnen über acht Jahre 72 Millionen Dollar einbringt. Was heisst das für Sie, als Schweizer, wenn alle wissen, wie viel man verdient?

Josi: Ganz ehrlich: Für mich als Schweizer ist es eher unangenehm, über Geld zu sprechen. Wir sind ja sehr bescheiden. Und eigentlich geht es niemanden etwas an, wie viel Geld ich erhalte. Aber so ist es halt. In Amerika ist das normal, es gehört dazu.

Weltwoche: Finanziell haben Sie ausgesorgt. Was aber treibt Sie an, trotzdem jeden Tag im Kraftraum oder auf dem Eis zu schwitzen?

Josi: Es ist die Liebe für meinen Sport. Das tönt vielleicht klischeehaft, aber Geld war nie meine Motivation. Ich hatte immer Freude am Hockey. Ich probierte immer, dazuzulernen und das Beste aus mir herauszuholen – bis heute. Ich hoffe, noch lange spielen zu können.

Weltwoche: Sie hatten schon sieben Hirnerschütterungen.

Josi: So in etwa. Es waren vielleicht fünf oder sechs.

Weltwoche: Wären Sie vernünftig genug, um frühzeitig die Reissleine zu ziehen?

Josi: Ich glaube schon, ja. Während der Hirnerschütterungen versuchte ich, mich zu schonen und nicht zu früh wieder anzufangen, sondern erst, wenn wirklich alles gut ist. Das war nicht einfach. Ich war einen Monat lang out und konnte nichts machen – nicht mal im Kraftraum. In so einer Zeit wird es irgendwann normal, dass man Kopfweh hat und sich nicht gut fühlt. Mental da wieder rauszukommen, ist extrem schwer.

Weltwoche: Eishockey ist ein Risikosport. In Nordamerika sind Faustkämpfe, Mann gegen Mann, an der Tagesordnung. Wie nehmen Sie solche Duelle wahr?

Josi: Als Zuschauer meinen Sie?

Weltwoche: Sie waren schon mittendrin.

Josi: Bei mir ergibt sich das aus dem Spiel. Wenn die Emotionen hochgehen, passiert das schnell. Es gibt aber auch die tough guys, solche, die wirklich schlegle wollen und fürs Team ihre Handschuhe fallen lassen, um sich zu prügeln. Diese Spieler setzen ihre Gesundheit aufs Spiel, nur damit sie dem Team einen Ruck geben können. Oder um einen Mitspieler, der unfair angegangen wurde, zu verteidigen. Davor habe ich extremen Respekt.

Weltwoche: Wie ist es, ein moderner Gladiator zu sein?

Josi: Na ja, meinen letzten Kampf habe ich ja klar verloren. Das war nicht so toll. (Lacht)

Weltwoche: Aber ein guter Kick?

Josi: Man ist extrem adrenalingeladen – vor allem, weil man etwas im Team auslöst. Bei mir und anderen, die wie ich nicht viel kämpfen, ist es vielleicht noch spezieller, wenn es dann trotzdem passiert. Das ist schon cool.

Weltwoche: Hat Ihre Frau keine Angst um Sie?

Josi: Nein, für sie ist das kein Problem. Aber – Holz anfassen – ich hatte in letzter Zeit auch nichts Gröberes mehr. Meine Mutter ist nervöser. Sie schaut sich die Spiele sicher anders an, weil es ihr Sohn ist, der auf dem Eis steht.

Weltwoche: Fühlen Sie sich wohl in dieser Entertainment-Gesellschaft, in der alles Spektakel ist und die Zuschauer auf Kommando klatschen? Nehmen Sie das auf dem Eis wahr?

Josi: Ja, sicher! Das finde ich cool, alles ist eine grosse Show. Wenn es auf dem Eis nicht läuft, wird man trotzdem immer unterhalten. Das ist doch super!

Weltwoche: Welche Zuschauer-Animation finden Sie am coolsten?

Josi: Die «Kiss Cam» ist lustig, aber auch die Aufforderung: «Make some noise», damit die Zuschauer so richtig Lärm machen. Das pusht uns im Spiel.

Weltwoche: Zum Schluss: Gibt es eine Frage, die Sie sich in den letzten Wochen, über die Jahreswende, häufig gestellt haben?

Josi: Ja, während Corona beschäftigte ich mich vermehrt mit mir selber. Ich fragte mich, ob ich wirklich glücklich bin. Das finde ich wichtig. Es sollte das Ziel von jedem sein.

Weltwoche: Und, sind Sie es?

Josi: Ja, schon, ich bin eher ein glücklicher Mensch.

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